Gründungserklärung
der BAG Hartz IV zur Interessenvertretung der Erwerbslosen und prekär Beschäftigten in und bei der Partei DIE LINKE
Der Prozess der Bildung einer neuen Partei in Deutschland ist erfolgreich abgeschlossen. Viele Menschen setzen ihre Hoffnungen in DIE LINKE. Sie erwarten eine Umkehr in der deutschen und europäischen Politik - weg vom Extremkapitalismus, hin zu einer Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Menschen nicht als Kostenfaktor sieht, sondern ihm die Rolle zugesteht, in die er gehört: In den Mittelpunkt allen gesellschaftlichen politischen Denkens.
Damit sich aber die Kräfte der Linken voll entfalten können, braucht unsere Politik lebendiges Denken. Es genügt nicht, sich auf der "Beschlusslage" auszuruhen; Beschlüsse, die ein Thema nicht voll erfassen, einem Problem nicht gerecht werden oder gar widersprüchlich sind, müssen ergänzt oder revidiert werden können.
In den Programmatischen Eckpunkten unserer Partei wird das Thema "Grundsicherung" nur sehr kurz abgehandelt. Von einer "repressionsfreien, bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung für alle, die von Armut bedroht sind", ist da die Rede und davon, dass der Zwang zu jeglicher Arbeit abgelehnt wird. Arbeiten, die der beruflichen Qualifikation entsprechen und tariflich bezahlt werden, sollen aber zumutbar sein. Im "Katalog der offenen Fragen" heißt es dann, dass über ein bedingungsloses Grundeinkommen noch diskutiert werden müsse.
Die Forderung der LINKEN "Weg mit Hartz IV – für eine Neue Soziale Idee" muss mit Inhalt und Leben erfüllt werden. Es reicht nicht, an den Stellschrauben einer im Ansatz falschen Gesetzgebung zu drehen.
Mit der Bezeichnung "Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", besser bekannt unter dem Namen "Hartz I – IV", trat am 1. Jan. 2005 für die BRD mit Hartz IV ein Gesetz in Kraft, welches die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe unter dem Leistungsniveau der Sozialhilfe zusammenfasste. Der offizielle Grundgedanke war, unter dem Eindruck der Auswirkungen der Globalisierung und ihren Ausprägungen u. a. auf dem deutschen Arbeitsmarkt - 2005 ca. 5,5 Mio. registrierte Erwerbslose - "zu fordern und zu fördern". Bereits diese offizielle Begründung "fordern und fördern" impliziert, dass Erwerbslose ihre Situation selbst verschuldet haben, weil sie zu dumm oder zu faul oder beides sind.
Im Prinzip wurde aus dem bis dahin dreistufigen, sozialen Sicherungsmodell: Arbeitslosengeld > Arbeitslosenhilfe > Sozialhilfe ein zweistufiges Sicherungssystem: Arbeitslosengeld > Arbeitslo-sengeld II. Einhergehend mit der Einführung wurden die Bedürftigkeitskriterien und Zumutbarkeitsreglungen verschärft. Nach der vordergründigen Zielvorstellung ging es dem Gesetzgeber darum, die Eingliederung und Betreuung der Arbeitslosen zu verbessern, sowie Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Tatsächlich übte diese Gesetzgebung jedoch enormen Druck nicht nur auf Erwerbslose, sondern auch auf alle Erwerbstätigen aus, der in der Folge zu unsicheren Arbeitsverhältnissen und Lohndumping führte. Dies war so gewollt und stellt den eigentlichen Zweck der Hartz-Gesetzgebung dar.
Seit der Einführung des "Hartz IV"-Gesetzes und seiner Modifizierung im Jahre 2007 ist dieses Gesetz umstritten. Während die Befürworter anmerken, die Erwerbslosenstatistik zeige, dass die Maßnahmen greifen - zur Zeit sind ca. 3,5 Mio. offiziell als erwerbslos ausgewiesen - geben die Kritiker mit Recht zu bedenken, dass Statistiken zur Arbeitslosigkeit verzerrt sind, z. B. wird ein/e Arbeitssuchende/r von einem privaten Vermittler betreut, gilt sie/er in der Statistik nicht mehr als erwerbslos, das gleiche gilt bei MAE–Maßnahmen, ABM etc. Die meisten Erwerbslosen über 58 Jahre müssen sich nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen und sind somit statistisch nicht mehr erwerbslos. Eher Aufschluss über die tatsächlichen Verhältnisse gibt da die Zahl der Bezieher von ALG II und Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch, sie liegt über 7 Millionen. Ferner ist durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors und Anstiegs der Leiharbeit zu beobachten, dass trotz sinkender Erwerbslosenzahlen die Armut der Erwerbstätigen, Kinder und Rentner/innen wächst. Die Zahl der "Aufstocker", deren Einkommen nicht zur Finanzierung der Lebensverhältnisse ausreicht und sie, obwohl Vollzeit beschäftigt, zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen müssen, weitet sich aus, wobei auch zunehmend Freiberufler und Selbstständige den Weg zum JobCenter oder zur ArGe auf sich nehmen müssen. Der "Aufschwung" am Arbeitsmarkt, wie er von Politikern der schwarz/roten Koalition gern propagiert wird, ist im Grunde ein statistischer Verschiebebahnhof, und das Lohnniveau der Beschäftigten ist auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren.
Mit der ökonomischen Konsequenz der sinkenden Kaufkraft der Erwerbstätigen- und Erwerbslosenhaushalte, der steigenden Angst vor Arbeitsplatzverlust bei den noch in Arbeit stehenden Erwerbstätigen, wurde durch die Gesetzgebung bei den Betroffenen Existenzangst geschürt. Eine Missbrauchsdebatte sorgt bis heute dafür, dass ALG II-Bezieher als faule, in der sozialen Hängematte ausharrende Existenzen unter Generalverdacht stehen, als gäbe es ausreichende Stellenangebote auf dem Arbeitsmarkt.
Die Regelsätze für die Betroffenen sind nach einhelliger Meinung der Sozialverbände, Kirchen, Gewerkschaften und Erwerbsloseninitiativen zu niedrig. Unterbringungskosten werden regional nicht differenziert bzw. der Betriebskostenanteil der Mieten, welcher durch extreme Preissteigerungen von Energie, Abwasser, Müllentsorgung etc. in den letzten Jahren geradezu explodiert ist, führte zu erhöhter Androhung und Durchführung von Zwangsumzügen.
Sachverständigengutachten belegen: Menschen, die von Erwerbslosigkeit betroffen sind, leiden häufiger an Krankheiten und sterben sogar früher. Die gesundheitliche Versorgung auch von Erwerbslosen muss gesichert sein und darf nicht vom zur Verfügung stehenden Einkommen abhängig sein.
Kindern von ALG II-Beziehenden wird nicht die notwendige finanzielle Unterstützung und Förderung zuteil, Chancengleichheit im Bildungssystem ist eine Farce, und die aktuelle Familienpolitik, da sie in der Hauptsache auf Steuererleichterungen für Aufwendungen zur Kindererziehung setzt, grenzt Kinder von ALG II-Beziehenden zusätzlich aus, denn ihre Eltern zahlen keine Steuern, und können somit auch keinen Nutzen aus den gesetzlichen Regelungen ziehen. Auch direkte Zuweisungen wie z. B. die avisierte Erhöhung des Kindergeldes nutzt ALG II Beziehern nichts, da der Erhöhungsbetrag von der Transferleistung abgezogen wird. Die Regelsätze für Kinder und heranwachsende Jugendliche sind nicht den besonderen Umständen der Entwicklungssituation des Nachwuchses entsprechend festgesetzt und eindeutig zu niedrig.
HartzIV-Beziehende haben keinen Anspruch auf Bildung und Weiterbildung. Dieses Recht muss jedem Erwerbslosen zugestanden werden.
Der Umbau unseres Rentensystems führt dazu, dass in Zukunft massenhafte Altersarmut entsteht. Die "Säule" Private Altersvorsorge dient ausschließlich dazu, öffentliche Gelder zur Altersvorsorge in die Privatwirtschaft umzuleiten und die Unternehmen zu entlasten. Mit der Folge, dass eine auskömmliche Rente nur noch denen möglich ist, die über höhere Einkommen verfügen. Menschen mit längeren Erwerbslosenzeiten sind vom derzeitigen Rentensystem ganz besonders betroffen. Pro Erwerbslosenjahr erhöht sich ihr monatlicher Rentenanspruch derzeit um ganze 2,19 Euro.
Wir haben einen anderen Begriff von Menschenwürde. Unserer Meinung nach hat jede und jeder Einzelne Anspruch auf eine echte Grundsicherung, einen Betrag also, der ihm ein Leben auf ausreichendem Niveau ermöglicht und der ihm/ihr unter keinerlei Umständen entzogen werden kann. Das scheint uns der einzige Weg zu sein, um persönliche Freiheit für alle, auch für diejenigen, die kein Vermögen besitzen, zu verwirklichen. Wer nur die Wahl hat zwischen einem Bettlerdasein und der Unterwerfung unter fremden Willen, der hat keine echte Wahl.
Echte Grundsicherung, Mindestlohn und deutliche Arbeitszeitverkürzungen sind für uns ein unverzichtbarer Dreiklang. Außerdem muss das soziale Netz insgesamt erheblich erweitert werden. Daneben geht es uns aber auch um einen Ausbau des öffentlichen Sektors und der sozialen Dienstleistungen, um ein demokratisches und für alle kostenfreies Bildungssystem und um einen gut entwickelten und letzten Endes kostenlosen ÖPNV für alle.
Die BAG Hartz IV setzt sich für einen Diskurs über die Zukunft der Arbeit, über einen demokratischen Sozialstaat und Formen solidarischer Ökonomie sowie für eine breite Debatte über das "Bedingungslose Grundeinkommen" und andere Alternativen wie "Bedarfsorientierte Grundsicherung" innerhalb und außerhalb der Partei DIE LINKE. ein.
In diesem Sinne wollen wir innerhalb und außerhalb der Partei DIE LINKE für unsere Vorstellungen werben. Die Programmatischen Eckpunkte sind nur ein vorläufiges Papier, das eigentliche Programm soll bald erarbeitet werden. An der Debatte darüber wollen wir teilhaben und all unsere Überzeugungskraft dafür einsetzen, dass unsere Partei für eine Neue Soziale Idee und ein solidarisches Gesellschaftsmodell steht, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht.
Die BAG Hartz IV unterstützt den Kampf der Erwerbsloseninitiativen gegen die tägliche Ausgrenzung und Entrechtung.
Wir wollen eine Grundsicherung, die allen Menschen garantiert wird. Eine künftige Grundsicherung muss mehr sein als nur eine Leistung zur Sicherung der rein körperlichen Existenz. Sie darf nicht diskriminierend und ausschließend wirken und muss tatsächliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Wir werden ein Positionspapier erarbeiten, in dem die hierfür notwendigen Kriterien als Forderungen festgeschrieben werden. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Bestandteil des Programms der LINKEN werden.
Beschlossen auf der Mitgliederversammlung am 6. März 2009